Menden war im 18. und 19. Jahrhundert eine Stadt von Handwerkern mit zunehmender Industrialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dieser Zeit also keine Ackerbürgerstadt! Legendenbildung in Menden, Dr. Theo Bönemann, 09.07.2004
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Liebevoll hergerichtetes Fachwerkhaus in der Synagogengasse. Trotz amtlicher Kennzeichnung als Ackerbürgerhaus machen Torbogen und Deele kein Ackerbürgerhaus aus. 1829 gab es keinen Grundbesitz. Hier wohnten nach Errichtung des Hauses über Jahrzehnte fleißige Handwerker.
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„Aus der einstigen Ackerbürgerstadt [Menden] entwickelte sich eine aufstrebende Mittelstadt“ ist in der Stadtbroschüre zur historischen Entwicklung der Stadt zu lesen. Dabei wird ein wirtschaftsstruktureller Stadtbegriff (Ackerbürgerstadt) als Vorgänger gegen einen von der Einwohnerzahl (>=10.000 Einwohner) bestimmten Stadtbegriff gesetzt, ein fachlich wahrlich seltener Sprung. Das sog. Ackerbürgerhaus im Museum repräsentiert keine Nutzungsform von Häusern in Menden und ist damit für viele Jahrzehnte als irreführend zu werten. Eine wissenschaftliche Akzeptanz liegt nicht vor!
Diese stereotyp vorgetragene Dauerfalschmeldung ist wohl nicht mehr zu verdrängen. Sie kommt romantischen Vorstellungen entgegen, die mit einem Fachwerkhaus verknüpft werden. Eine Scheune, ein Torbogen, eine Fachwerkkonstruktion und ein paar vermutete Haustiere müssen in Menden als Erkennungsmerkmale für ein Ackerbürgerhaus herhalten. Dem Hausbesitzer wird dann der agrarische Hauptberuf eines Ackerbürgers unterstellt. Da das Fachwerkhaus, gelegentlich mit Torbogen und Deele, in Menden als dominant bezeichnet wird, war Menden angeblich eine Ackerbürgerstadt. Dann müssten die Mendener Bürger abgemagerte Gestalten gewesen und Jahrhunderte lang dem Hungertode nahe gewesen sein. Gerade ein Drittel aller Familien besaß im Jahre 1829 Gärten. 60% aller Einwohner besaßen nur 4% des fruchtbaren Bodens! Wovon haben sie denn dann gelebt?
In der Zeitung war zu lesen, dass Menden doch wohl eher eine “Ackerbürger-Handwerker-Stadt” war. Diese Wortkombination führt ein weiteres Dilemma an. Eine derartige Wortschöpfung gibt es bislang in keiner Fachliteratur. Sie läßt ihrer Bewertung jeglichen Spielraum: Haben die meisten Mendener in vergangenen Zeiten denn nun von der Landwirtschaft oder vom Handwerk gelebt? Ob und zu welcher Zeit Menden vor 1600 eine Ackerbürgerstadt gewesen sein könnte, kann für die Zeit vor 1700 nicht beantwortet werden. Für eine Vermutung gibt es keine Bestätigung.Wie der Sprung zur Mittelstadt (>=10.000 Einwohner) erfolgt sein könnte, läßt sich nicht einmal erahnen.
Da weist ein amtliches Schild in der Synagogengasse ein Haus dank eines dekorativen Torbogens und des gepflegte Fachwerks als Ackerbürgerhaus aus. Hinter dem Bogen war einst zwar eine kleine befahrbare Deele. Doch der Hausbesitzer war im Jahre 1829 an Grundstücken arm wie eine Kirchenmaus - er hatte nur das bebaute Grundstück. Er war lediglich Handwerker. Ob daher wohl der Begriff “Schildbürgerstreich” herrührt?
Die begüterte Familie Biggeleben (Alte Apotheke und das gegenüberliegende Städt. Museum) hatte als Besitzer einiger Morgen Land eine kleine Scheune für die Ernte an der Kirchstraße, die auch dem Karren und Pferd diente. Die Familie lebte aber nie von der Landwirtschaft - es waren betuchte Händler. Eine Scheune, Karren Pferde und umfangreicher Grundbesitz machen keinen Ackerbürger aus.
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Apothekergasse: kein Ackerbürgerhaus, Getreidescheune des Apothekers Fuchsius
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Herr Fuchsius betrieb eine Apotheke neben der Kirche, hatte nebenan in einer „Getreidescheune“, so die damalige amtliche Bezeichnung, Vieh und Personal untergebracht. Fuchsius’ Scheune an der Apothekergasse wird heute gerne – aber fälschlicherweise – als ehemaliges Ackerbürgerhaus bezeichnet. Fuchsius war trotz seiner 20 Morgen Land und eines Fachwerkgebäudes mit Deele und dekorativem Torbogen lediglich Apotheker, kein Ackerbürger.
Garten- und Landwirtschaft dienten den Bürgern Mendens nur zur Bereicherung des Speisezettels und Entlastung der Haushaltskasse.
An den durch meine Doktorarbeit nachgewiesenen Ergebnissen ändert das sogenannte „Ackerbürgerhaus“ im Museum nichts. Es besitzt keine Menden beherrschende Gebäude- und Nutzungsform. Vielmehr sind starke Fremdeinflüsse (holländische Fliesen, holländische Herdstelle, norddeutscher Grundriss) im Museum nachweisbar, die durch den mehrfach in Menden anwesenden Gründer des Freilichtmuseums aus Arnheim hier eingebracht worden sind, wie die Gästeliste des Museums belegt (Vgl. meine Dissertation: Stadt und Land im Wandel - Menden und Lendringsen).
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Dominanter holländischer Einfluß an der Herdstelle im Museum (Die holländischen Fliesen sind nicht ursprünglich!), in Menden nicht nachweisbare Bauform einer offenen Herdstelle. Der Grundriß des Bauernhauses im Museum ähnelt lediglich dem Westteil des ehemaligen “Hotel(s) zum Adler”, sonst ist er nirgends nachweisbar, daher untypisch für Menden. Frappierende Ähnlichkeiten zwischen der Mendener (links) und holländischen Herdstelle (rechts)
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Ein Grundriss, der dem im Dachstuhl des sog. Ackerbürgerhauses im Museum entsprechen könnte, ist nach etwa 1600 im ganzen Sauerland höchstens als Ausnahme nachweisbar: Das Niedersachsenhaus ist in Menden nicht vertreten. Mit großen Einschränkungen könnte der linke Gebäudeteil der ehemaligen Gaststätte “Zum Adler” in Menden, herangezogen werden. An deren Stelle steht heute das Rathaus von 1912/ Bücherei (Vgl. Theo Bönemann: Post im Sauerland).
Herr Hufnagel versorgte in seinem im Jahre 1804 errichteten Fachwerkhaus mit großer Deele ein paar Schweine. Ein schöner Torbalken mit Inschrift ist noch heute sichtbarer Schmuck des Hauses. Hufnagel war kein Ackerbürger, er war Müller und Betreiber der Mendener Mahlmühle (Eigentümer Albert) an der Ecke Südwall/ Bahnhofstraße (heutige Nutzung: Zahnarztpraxis und Wohnung). Es ist schon eigenartig, daß dieses Quereindeelenhaus objektgerecht als “Müllerhaus” zeichnet, und nicht als “Ackerbürgerhaus”! Die Stadt Menden besaß im 18. und 19. Jahrhundert eine von vielfältigen Handwerkerberufen dominierte Wirtschaftsstruktur, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend industrialisiert und am Ende des 19. Jahrhunderts von der Arbeiterschicht (Arbeiterstadt) geprägt wurde und seit etwa 1999 eine dominante Dienstleistungsstruktur aufweist.
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